Lebe was Du predigst...
Sehr geehrte Damen und Herren,
was macht ein Unternehmen erfolgreich? – Eine nur auf den ersten Blick einfache Frage. Ein Schlüsselerlebnis hierzu hatte ich im Rahmen eines M&A-Projektes vor fast 35 Jahren. Die Situation in Stichworten: Zwei durchaus vergleichbare Unternehmen, in derselben Branche tätig mit ähnlicher Unternehmensgröße und Kapitalausstattung. In beiden Unternehmen qualifizierte und leistungsbereite Mitarbeiter. Dennoch - das eine Unternehmen mit zweistelligen jährlichen Wachstumsraten, das andere mit seit Jahren rückläufigen Ertragszahlen, den Kollaps vor Augen.
Ein Besuch in beiden Unternehmen schien mich der Lösung der eingehend gestellten Frage einen Schritt näher zu bringen – In Unternehmen A: Eine Betriebsamkeit vergleichbar mit einem Bienenstock, das Management ständig präsent, im Gegensatz zu Unternehmen B, in dem sich durchaus Vergleiche zu kommunalen Behörden der 70er Jahre aufdrängten.
Kurzum - wir reden über die Führung von Menschen und Unternehmen und deren unmittelbare Auswirkung auf den Unternehmenserfolg. Es ist eine zuweilen schmerzhafte Erkenntnis, dass es im Unternehmen nicht damit getan ist, kompetentes Personal zusammenzuscharen und ungeduldig den Erfolg abzuwarten, sondern dass damit für den Unternehmer die eigentliche Arbeit mit dem erfolgreichen „Führen“ dieses sozialen Gebildes erst beginnt. Der deutsche Unternehmer und Stifter Reinhard Mohn (Bertelsmann) hatte es einst treffend formuliert: „Der wichtigste Erfolgsfaktor eines Unternehmens ist nicht das Kapital oder die Arbeit, sondern die Führung“.
Bleibt die Frage: Wie führt man erfolgreich? Als Unternehmer bzw. Führungskraft sieht man sich mit der Situation konfrontiert, unter „ständiger Beobachtung“ im Unternehmen zu stehen. Ein fataler Fehler, sich einzubilden, dass nicht jede noch so unbedeutende Handlung registriert und via „Buschfunk“ intern kommuniziert wird. Dass Führung zuweilen einsam macht, ist eine bittere Pille, die jeder schlucken muss, der entsprechende Positionen im Unternehmen begleiten möchte. Der „Kumpeltyp“ als Manager bildet sich im Zweifel nur ein, dass unbefangen mit ihm kommuniziert wird.
Vor Jahren hatte ich die Gelegenheit, mit einem sehr erfolgreichen Manager eines führenden Handelskonzerns mit über 40.000 Beschäftigten zusammenarbeiten zu dürfen. Ihm eilte der Ruf voraus, die von ihm verantworteten Geschäftsbereiche stets auf Vordermann zu bringen. So hatte er innerhalb weniger Monate ein tot gesagtes Vertriebsgebiet im Norden Deutschlands aus tiefroten Zahlen in die Gewinnzone geführt. Bei seinen Kollegen wurde er für seine höchst loyale Mannschaft beneidet, die sich mit ganzem Herzen für ihren Chef ins Zeug legten. Umso erstaunlicher, galt er doch als sprichwörtlich unangenehmer und rauer „Knochen“ - Ein Widerspruch? Von den Journalisten eines bekannten Wirtschaftsmagazins wurde er im Rahmen eines Interviews nach seinem Erfolgsrezept gefragt. Die Antwort des Managers fiel kurz und prägnant aus: „Der sich selbst schindende Chef ist das beste Vorbild für die Mitarbeiter“.
Der Begriff Vorbild hat in den letzten Jahren an Glanz verloren, nicht aber an Bedeutung. Nur durch die Wahrnehmung der Vorbildfunktion erreichen wir als Unternehmer und/oder Führungskräfte die für den Unternehmenserfolg notwendige Glaubwürdigkeit. Der aktuelle Fall Arcandor/Karstadt zeigt deutlich, wie wichtig die Rolle des Vorbilds ist und welche Schäden ein Abrücken von dieser Verantwortung verursachen kann.
Arcandor mag ein extremes Beispiel sein. Das Übel beginnt meist im Kleinen. „Genehmigt“ sich der Unternehmer bei Besprechungen eine obligatorische Verspätung, so kann man davon ausgehen, dass die nach gelagerten Führungsebenen sich nach und nach diese Untugend zu Eigen machen, um ihre Wichtigkeit im Unternehmen zu demonstrieren. Der rüde Umgang mit Mitarbeitern, willkürliche bzw. inkonsequente Arbeitsanweisungen oder die Selbstbedienungsmentalität des Top-Managements werden sich in Windeseile wie ein Krebsgeschwür im Blutkreislauf des Unternehmens verteilen.
In der Psychologie spricht man von so genannten psychodynamischen Prozessen, die eine Angleichung des eigenen Verhaltens zum Vorbild zum Ziel haben. Die wirtschaftlichen Auswirkungen von entsprechendem Fehlverhalten sind oft fatal. In vielen unserer Sanierungsprojekte haben wir häufig zunächst mit grundlegenden „Hygienemaßnahmen“ im Führungsverhalten begonnen, um überhaupt erst eine Sanierbarkeit des Unternehmens zu erreichen.
Die Vorbildfunktion ist wesentlicher Bestandteil der viel zitierten „sozialen Kompetenz“ als wesentlicher Erfolgsfaktor für nachhaltig erfolgreiche Unternehmens- und Personalführung. Im gleichen Kontext steht der aus dem amerikanischen Sprachraum stammende Begriff „Leadership“, als vermeintlich neues Prinzip der Unternehmensführung. Der Vergleich zum alten Chefgebahren: Der Boss ruft „Go!“; der Leader „Let´s go!”.
Vorbild zu sein ist etwas sehr Praktisches, was es gleichermaßen auch schwierig und anstrengend macht, da wir jeden Tag aufs Neue gefordert werden. Die große Kunst besteht sicher darin, bei allem Streben nach Idealen, authentisch zu bleiben. Besteht nicht ein Großteil der Liebenswürdigkeit von Menschen in ihren mehr oder minder kleinen „Macken“ und menschlichen Unzulänglichkeiten. Entscheidend ist bei alledem die Entwicklung der notwendigen Sensibilität im täglichen Handeln.
Der leider bereits verstorbene amerikanische Musiker Barry White hatte es in einem seinen letzten Songs auf den Punkt gebracht: Practice what you preach – frei übersetzt - Lebe was Du predigst …
Ich wünsche Ihnen einen schönen und erfolgreichen Frühsommer.
Herzlichst
Ihr
Heinz Jäger
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